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Der Speicher am Elbhafen Wittenberg - bekannt unter "Kornhaus" lüftet sein Geheimnis.

Das Reichsernährungsprogramm, Teil des nazistischen Vierjahresplanes von 1936 bis 1940, war das Modell für das Vorgehen in der DDR. Hermann Göring, zunächst Hauptverantwortlicher für diese Programme zur strategischen Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges, stand also Pate für das Vorgehen der DDR als Teil des Warschauer Vertrages für den Ernstfall. Diese ernüchternde Wahrheit wurde deutlich, als wir, Ingo und Kurt Weise, im Dezember 2007 im Bundesarchiv in Berlin nach historischen Spuren zur Entstehung des Speichers in der Dessauer Straße suchten.

Die Ergebnisse unserer Suche waren recht bescheiden – Unterlagen allgemeiner Art gab es reichlich, eine Fundstelle zu „unserem“ Speicher jedoch nicht. In die strenge Geheimhaltung ist diese Tatsache sicher einzuordnen. Diese erlassenen Richtlinien zum Bau von Getreidelagerstätten wurden im Falle des „Kornhauses“ in der Dessauer Straße strikt erfüllt. Sie sind auf den folgenden Seiten dokumentarisch belegt. Ein weiteres Blatt gibt Aufschluss über den Umgang mit der Presse. In den Originalprotokollen wird der militärisch-strategische Aspekt beim Bau der Getreidespeicher jederzeit deutlich. Die Recherchen im Stadtarchiv Wittenberg blieben bis zum Zeitpunkt der Erarbeitung dieses Entwurfs ohne Erfolg. Doch plötzlich gab es eine erfreuliche Wende in der Recherche:
Durch Vermittlung von Kurt Weise kam eine Verbindung zum Redakteur der Lokalredaktion der Mitteldeutschen Zeitung, Herrn Duclaud, zu Stande. Dieser interessierte sich sehr für den Speicher und veröffentlichte einen Bericht über ihn. Nach kurzer Zeit meldete sich eine Frau Hänsel aus Wittenberg und teilte mit, dass ihr Bruder, der in Grimmen (Mecklenburg-Vorpommern) wohnt, den genannten Zeitungsartikel gelesen und sie aufmerksam gemacht habe, dass der neue Besitzer, Herr Ingo Weise, dringend nach Unterlagen suche. Frau Hänsel stellte daraufhin Bauunterlagen, ein späteres Gutachten und persönliche Fotos zur Verfügung. Ihr Vater war der erste Betriebsleiter der Kornhaus GmbH gewesen und hatte den Bau und die weitere Entwicklung maßgeblich verfolgt und teilweise beeinflusst. Es kommt einem Wunder gleich, dass Herr Hänsel die Bauunterlagen, die im Sinne der nationalsozialistischen Geheimpolitik streng geheim waren, kopieren ließ und aufbewahrte. Zunächst lassen sich folgende Fakten erschließen:
Im Februar 1939 erfolgte die Planung durch den Oberingenieur Reißig, genehmigt am 14.02.1940 durch die Baupolizeibehörde. Vom Bauablauf gibt es z.Zt. keine schriftlichen Aufzeichnungen – lediglich die mit Bleistift eingetragenen Bemerkungen des Herrn Hänsel geben einigen Aufschluss darüber (auf den Fotos). Im Zusammenhang mit dem Wirken des ersten Betriebsleiters, Herr Hänsel, und der technischen Erstausstattung des Speichers gibt es einige bemerkenswerte Einzelheiten:
Im Februar 1942 war der Speicher soweit fertiggestellt, dass er unter der Firmenbezeichnung „Kornhaus Wittenberg“ in Betrieb gehen konnte. Frau Hänsel erinnerte sich, dass sie als kleines Mädchen ihrem Vater Mittagessen, Vesperbrot und Getränke bringen musste. Sie war immer sehr erfreut, wenn ihr Vater zwei Kriegsgefangenen, ihre Nationalität ist nicht mehr feststellbar, von seinem Pausenbrot ein Stück abgab. Manchmal durfte das auch Frau Hänsel tun. Man stelle sich vor, dass diese Tat streng verboten war und mit härtester Strafe – unter Umständen mit Einweisung in ein KZ – geahndet worden wäre. Hier ergibt sich ein Gedankensprung, der bis in die Gegenwart führt: Bei der Demontage der technischen Einrichtung für die Getreidebeizung, -trocknung und -lagerung wurden an den Maschinen und Geräten Schilder mit dem Firmenlogo Topf und Söhne, Erfurt festgestellt, jener Firma, die in der Folgezeit spezialisiert war auf den Bau von Vergasungs- und Verbrennungsanlagen für die Nazi-Konzentrationslager, u.a. für das KZ in Buchenwald. Die Firma hatte auf ihren Briefbögen an SS-Dienststellen den bezeichnenden Satz „Stets zu Ihren Diensten“. Heute befindet sich auf dem ehemaligen Firmengelände in Erfurt eine Erinnerungsstätte, wo besagter Satz an einer Mauer angebracht ist.
Nun wieder zurück zum historischen Abriss: Der Speicher hat also in vollem Maße dem Reichsnährstoffprogramm gedient, bis zum Kriegsende 1945. Wenig bekannt ist über die unmittelbare Zeit nach Kriegsende bis zur Gründung des volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetriebes (VEAB) und der Zentralisierung in der VVEAB (Vereinigung der volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetriebe). In dieser Zeit wurde nicht nur Getreide der Privatbauern aus der Zwangsablieferung bearbeitet, sondern auch Kleinstmengen anderer Rohstoffe erfasst, z.B. Kaninchenfelle aus haushaltlicher Haltung, Schweinshäute zur Ledergewinnung usw. Das ging mehrere Jahre so bis zum Ende der DDR im Jahr 1990.

Wie es nach 1945 im Kornhaus Wittenberg weiterging:

Ich knüpfe an die bisherigen Ergebnisse der Recherchen zum Schicksal des Kornhauses Wittenberg an:
Durch einen Zufall fiel mir die Schrift des Heimatforschers Heinrich Kühne "Meine Erinnerungen (1910 bis 1983) " in die Hände.
Sie ist nach meiner Kenntnis unveröffentlicht und wurde mir freundlicher Weise von seiner Tochter, Frau Heide Böttner, zur Auswertung zur Verfügung gestellt.
Wie der Zufall es so wollte: Herr Kühne war ab 1950 mit dem Kornhaus Wittenberg eng verbunden-er schreibt: "Nachdem ich fünf Jahre so herumgetingelt war, wollte ich endlich wieder einmal eine feste Anstellung haben. Da wurden Leute gesucht, die in erster Linie Ablieferungsbescheinigungen für Naturerzeugnisse zu schreiben hatten."
Herr Kühne beschreibt dann die Stationen seines weiteren Weges: "Vorstellung bei Herrn Brechtel in der Melanchthonstraße - der Villa Grzibeck - Bekanntmachen mit Herrn Krahlisch- Fachmann für Getreidewirtschaft", der Herrn Kühne zum Silo 1 (VEAB 1) in der Dessauer Str. vermittelte. Dort saß er mit 3 Damen zusammen, deren Aufgabe es war, die Pflichtabliefermengen der privaten Landwirte, auch Kleinst-mengen von einigen Kilos, zu erfassen. Auch die Futtermittelabrechnung lag später in Herrn Kühnes Händen. Er war verantwortlich für Brand- und Betriebsschutz, Lagerkon-trolle und die Lehrlingsausbildung. Seine Vorgesetzten waren also Leiter des Silos 1: Herr Krause (Zitat Kühne: "Er war ein musischer Mensch, der besser Klavier spielen konnte, als einen Betrieb zu leiten"), Herr Fleischmann und Herr Gerhard Lubisch-Friedrichstadt, der Herrn Kühnes heimatkundliches Interesse unterstützte. Am 01.10.1956 trat Herr Kühne seine Stelle als Direktor des Melanchthonhauses in Wittenberg an und verließ den VEAB.



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